Hans-Werner Stecker:

Das Psychotherapeutengesetz im Bereich stationärer Behandlung -
für die angestellten und beamteten KollegInnen erfolglos?

Mit der Einführung des neues Psychotherapeutengesetzes waren viele Hoffnungen verbunden. Im Bereich der ambulanten Therapie hat sich tatsächlich einiges verändert – wenn auch noch nicht in jeder Hinsicht zufriedenstellend. Doch wie sieht es im Bereich der stationären Versorgung aus? Die approbierten Diplompsychologen in den Kliniken warten bisher vergeblich auf die erhofften Veränderungen in Richtung einer Gleichstellung mit den Fachärzten. Anfangs hielten es die Psychologen in den Kliniken für geboten, ihre Approbation zu beantragen, weil die Kassen die Finanzierung psychotherapeutischer Leistungen davon abhängig machen könnten. Und jetzt soll sich nichts weiter verändern außer dass die inzwischen approbierten Psychologen ihre Beiträge für die Psychotherapeutenkammer bezahlen dürfen?

Das sehr komplexe Bedingungsgefüge aus Gesetzen, Verordnungen und Dienstanweisungen lässt eine Umsetzung des Psychotherapeutengesetzes in den Alltag der Kliniken derzeit als fast unmöglich erscheinen. Viele dieser formalen Bestimmungen sind noch auf dem alten Stand geblieben und nicht an die Neuerungen des Psychotherapeutengesetzes angepasst. Daher dürfte es auch einer „psychologen-freundlichen“ Klinikleitung derzeit schwer fallen, den Wünschen ihrer approbierten Psychologen nachzukommen.

Für mich als einem in juristischen Fragen wenig bewanderten Psychotherapeuten ist das juristische Regelwerk rund um meinen konkreten Arbeitsplatz kaum zu durchschauen. Trotzdem will ich versuchen, einige Aspekte der gegenwärtigen Situation zu beleuchten und sie darzustellen, wie sie mir erscheinen:

1. Diplompsychologen im Praxisjahr der Ausbildung zum Psychotherapeuten :

Psychologische Psychotherapeuten in Ausbildung (PPiA) werden im "praktischen Jahr" von der Trägerverwaltung als "Praktikanten" bezeichnet. Für "Praktikanten" gibt es offenbar eine Tarifvereinbarung, nach der sie keine selbständige Arbeit leisten dürfen und auch keinen Anspruch auf Bezahlung haben. Bei freien Trägern, die nicht an den BAT gebunden sind, lassen sich offenbar andere Bedingungen aushandeln, die auch im praktischen Jahr eine Bezahlung ermöglichen.

Hier scheint es folgende Brisanz zu geben: nicht-approbierte Diplom-Psychologen, die bereits mit einem festen Vertrag nach BAT in einer Klinik arbeiten und sich entschießen, eine Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten zu absolvieren, müssen im Rahmen dieser Ausbildung auch ein „praktisches Jahr“ absolvieren, in dem sie als „Praktikant“ unter Anleitung eines Psychotherapeuten ihre Erfahrungen machen. Das heißt: Sie dürfen nicht mehr selbständig arbeiten und müssen für die Zeit des „praktischen Jahres“ anscheinend die Stelle aufgeben oder sich beurlauben lassen. Es gab offenbar einen Fall, wo die Berufstätigkeit als Psychologe in der Klinik nicht als Praxis für die Therapieausbildung anerkannt wurde.

Die Anleitung der „Praktikanten“ durch einen approbierten Psychologen in der Klinik soll wöchentlich etwa 6 Std. pro Praktikanten umfassen und muss ausführlich dokumentiert werden. Anscheinend sind die Kassen nicht verpflichtet, den Anleiter für seine Tätigkeit zu bezahlen, denn die Anleitung ist keine Tätigkeit im Rahmen der Krankenbehandlung. Wer zahlt es dann? Es wäre interessant, zu überprüfen, ob dies bei den Ärzten im Praktikum ähnlich ist.

2. Psychologische Psychotherapeuten (PP) in Psychiatrischen Kliniken

Bezogen auf die PP könnte man von außen betrachtet annehmen, dass das Psychotherapeutengesetz für die Trägerverwaltung und die Klinikleitungen keine Bedeutung hat. Offenbar finden aber auf unterschiedlichen Ebenen viele Diskussionen über dessen Umsetzung statt. Konkret sichtbare Veränderungen lassen sich derzeit allerdings nicht erkennen. Die Hoffnungen, ähnlich wie im ambulanten Bereich durch die Installation des PP eine inhaltliche und tarifliche Gleichstellung der PP mit Fachärzten („Fachpsychologe für Psychotherapie“) zu erreichen, wurden noch nicht erfüllt: es gibt in den Psychiatrischen Kliniken noch keine Psychologischen Psychotherapeuten, die als solche tätig werden können/dürfen.

Schon vor dem Psychotherapeutengesetz war es Psychologen möglich, auf bestimmten Stationen (Soziotherapie, Psychotherapie, Entwöhnungsbehandlung) die Stationsleitung übertragen zu bekommen und dann für die Behandlung der Patienten verantwortlich zu sein, während ein Arzt auf diesen Stationen eher in hausärztlicher Funktion tätig war. Daran hat sich nichts geändert. Dies hatte bisher keinen Einfluss auf eine Veränderung der Berufsbezeichnung als Psychologischer Psychotherapeut im Arbeitsvertrag mit einer entsprechenden tariflichen Eingruppierung. (Eine Anmerkung: Der Begriff „Psychotherapie“ ist im Gegensatz zum Begriff „Psychotherapeut“ nicht geschützt und kann deshalb unabhängig von der ausübenden Berufsgruppe verwendet werden, z.B. auch vom Heilpraktiker.)

Im Bereich der Regelbehandlung auf den psychiatrischen Akutstationen sind nach wie vor allein die Stationsärzte für die Behandlung verantwortlich (im Rahmen der Weisungsbefugnis des Abteilungsarztes). Sie nehmen die Patienten auf, entwickeln den Behandlungsplan in Abstimmung mit den anderen Berufsgruppen, dokumentieren und verantworten ihn letztlich und entlassen die Patienten. Psychologen führen ihre Gespräche und leiten ihre Gruppen zwar eigenverantwortlich, aber im Rahmen des ärztlichen Behandlungsplanes und nach Anordnung des Arztes, in vergleichbarer Funktion wie z.B. die Ergotherapeuten (auch wenn dies bei guter Kooperation untereinander nicht immer so aussieht).

Dabei wäre es selbstverständlich vorstellbar, dass z.B. bei depressiven Patienten auch auf einer Akutstation die psychotherapeutische Behandlung im Vordergrund steht und primär vom Psychologischen Psychotherapeuten verantwortet wird (auch wenn der Arzt eine medikamentöse Einstellung vornimmt und somatische Beschwerden behandelt). Solche Patienten könnten vom PP in der Klinik aufgenommen, nach Abklärung somatischer Erkrankungen behandelt und entlassen werden. (Interessant ist hier ein Nebenaspekt: die Krankenhausaufnahme durch den Arzt hat zugleich auch eine Bedeutung bezüglich der Arbeitsunfähigkeit der betroffenen Person. Im Bereich der ambulanten Therapie dürfen PP nach §72 SGB V keine Arbeitsunfähigkeit bescheinigen. Wie wäre das im Bereich der stationären Therapie?)

Ein PP kann und darf im stationären Bereich nur dann eigenverantwortlich behandeln, wenn er dafür ausdrücklich einen Auftrag erhalten hat. Also:
Voraussetzung für die Tätigkeit eines Psychologen als Psychologischer Psychotherapeut ist:
a) die Approbation
b) der ausdrückliche Auftrag, als Psychotherapeut tätig zu sein.

Im Krankenhausgesetz NRW liest es sich im § 36 Ärztlicher und psychotherapeutischer Dienst so, als sei die Trägerverwaltung aufgerufen, neben der Abteilungsärztin oder dem Abteilungsarzt" PP zu bestellen, die dann in der Abteilung eigenverantwortlich tätig sein können. Eine andere Interpretation sieht es als Aufgabe des Abteilungsarztes, darüber zu befinden, wie und von wem die Patienten in seiner Abteilung behandelt werden.

Wird dieser Auftrag zur Psychotherapie an den Psychologen erteilt, würden dadurch einige Strukturen in den Kliniken tiefgreifend verändert. Die Folge wären z.B., dass

Der "Personalschlüssel" in den Kliniken ist durch die Psychiatrie-Personalverordnung geregelt, die seit 1991 in Kraft ist. Sie kennt den PP und alles was damit zusammenhängt noch nicht. Es wäre die Frage, ob Patienten, die primär unter psychotherapeutischem Ansatz von einem PP auf einer Akutstation behandelt werden, auch als A1 oder G1 = "Regelbehandlung" einzustufen sind mit entsprechendem Personalschlüssel für die Pflegekräfte (in Kliniken sehr wichtig!!) oder eher unter A5/G5 als "Psychotherapie" (Personalschlüssel für Pflegekräfte Erwachsenenpsychiatrie A1/A5 etwa 2:1, Gerontopsychiatrie G1/G5 etwa 3:1 !!!).

In der Tätigkeitsbeschreibung der PsychPV ist ganz deutlich, dass allein Ärzten die Aufgaben der Befunderhebung und Therapieplanung zukommt und Psychologen nur eine "Mitwirkung" eingeräumt wird. Eine Aufgabenbeschreibung der psychologischen Psychotherapeuten gibt es in der PsychPV eben noch nicht – und erst recht nicht die Vorstellung, dass Psychotherapie als Regelbehandlung zur Bewältigung von Krisen dienen könnte.

Zu fragen ist weiterhin: was ist unter Psychotherapie im Sinne des PsychThG zu verstehen. Zu Beginn der Diskussion wurde die Interpretation vertreten, dass alle Gespräche von Psychologen mit Patienten als eine von ihm allein zu verantwortende Behandlung von Störungen mit Krankheitswert anzusehen und dementsprechend nur noch von approbierten Psychotherapeuten zu führen sind (ähnlich wie Medikation nur von Ärzten zu verordnen ist). Dementsprechend hätten die in den Kliniken beschäftigten Diplom-Psychologen ohne Approbation sich auf die Testdiagnostik und die Milieutherapie zurückziehen können/müssen. Dies ist ein Grund, warum - wie oben beschrieben – viele Psychologen in den Kliniken ihre Approbation beantragt haben. Mit Fortschreiten der Diskussion wurde als eine Lösung dieses Problems offenbar darin gesehen, dass nicht jedes Gespräch eines Psychologen mit Patienten auch Psychotherapie sein muss. In §1, Abs. 3 des PsychThG heißt es: "Zur Ausübung von Psychotherapie gehören nicht psychologische Tätigkeiten, die die Aufarbeitung und Überwindung sozialer Konflikte oder sonstige Zwecke außerhalb der Heilkunde zum Gegenstand haben." Dieser Satz kann eventuell eine Tür öffnen, um in den Kliniken alles beim Alten belassen zu können: Wenn Psychologen Gruppen anbieten und Gespräche führen, dann muss das ja nicht gleich Psychotherapie sein - insbesondere dann nicht, wenn die Psychologen noch keine Approbation haben, aber auch dann nicht, wenn sie sie haben. Es wird wie gesagt erst dann Psychotherapie (=“vom Psychotherapeuten als Krankenbehandlung selbst verantwortet“), wenn der Psychologe ausdrücklich den Auftrag erhalten hat, als Psychotherapeut tätig zu werden. Bis dahin sind es lediglich therapeutische Aktivitäten im Rahmen der ärztlichen Behandlungsplanung, von ihm angeordnet und letztlich verantwortet (siehe oben). Daher erscheint es auch als fraglich, ob Psychologen in den Kliniken behaupten können, sie seien schon als Psychotherapeuten tätig und könnten daher eine entsprechende tarifliche Eingruppierung einklagen.

Dies ist anders als bei Ärzten: alles, was sie tun, vom Händedruck bis zur Psychotherapie, dürfen (und müssen) sie im Rahmen des von ihnen erstellten Behandlungsplanes selbst verantworten und den Kassen gegenüber als Krankenbehandlung dokumentieren - egal, ob sie AiP, Assistenzarzt oder Facharzt sind. Was ein Psychologe demgegenüber dokumentiert oder berichtet, ist für die Kassen nicht relevant. Entscheidend ist die Unterschrift des Arztes, durch die er seine Verantwortlichkeit bekundet.

Die hier geschilderten gesetzlichen Rahmenbedingungen stationärer Psychotherapie erscheinen mir als Laien in juristischen Dingen in sich widersprüchlich und dringend einer Überprüfung und Klärung zu benötigen.  Und es wäre zu wünschen, dass auch Politiker und Krankenkassen diesen Bedarf erkennen. Das Ziel ist, die Rahmenbedingungen der stationären Psychotherapie an die der ambulanten Psychotherapie anzupassen und damit die Grundgedanken des Psychotherapeutengesetzes auch in den psychiatrischen Kliniken umzusetzen.

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